Früher habe ich mit Begeisterung Fanfiction geschrieben und gelesen – und „Trauma“ in Form einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTSD) ist für eine Story ein wunderbares Plot Device, um einen sonst sehr starken Character in die Knie zu zwingen. Seitdem ich mich mehr mit Trauma-Therapien beschäftige, kann ich diese Art von Stories nicht mehr genießen, da mein TherapeutInnen-Hirn korrekterweise der Ansicht ist, dass im Jahr 2265+ die Behandlung von Trauma sehr, sehr erfolgreich stattfinden wird. Woraus ich diese Sicherheit nehme? Aus dem Stand der heutigen Trauma-Therapien.
Trauma wird heute üblicherweise in zwei Typen aufgeteilt…
- Typ I: einfaches Trauma, hervorgerufen durch ein oder wenige Erlebnisse, z.B. Unfall, Operation/Krankenhausaufenthalt, menschliche Einwirkung wie Überfall oder sexueller Übergriff, Naturkatastrophen.
- Typ II: komplexes Trauma, hervorgerufen durch schwere und lang anhaltend bzw. wiederholte Traumatisierung, oft beginnend in der Kindheit (z.B. Misshandlungen, sexualisierte Gewalt, Folter…).
Warum ist Trauma-Therapie wichtig?
- Eine Traumatisierung verschwindet nicht automatisch von selbst. Es werden noch heute immer wieder Studien an Vietnam-Veteranen gemacht, die seit damals an PTSD leiden. Auch in Deutschland zeigen bei Menschen im Alter zwischen 81 und 95 in einer Studie noch 2% (Männer) bzw. 10% (Frauen) aktuell eine PTSD. Wer Interviews mit Kriegsveteranen rund um den Film „Saving Private Ryan“ gesehen hat – dort brechen alte Männer in Tränen aus, wenn sie an damals denken.
- Traumata können zum einen sehr weitreichende Folgen im Leben der Person und ihres Umfelds haben, sind aber andererseits oft schwer als Ursache greifbar. Ungelöste Traumata sind häufige (Mit-)Ursachen von vielen anderen diagnostizierten Problemen, von Persönlichkeitsstörungen über Essstörungen bis Depression, aber auch Schmerzerkrankungen.
Aus meiner Sicht problematische Aspekte der aktuellen Trauma-Diskussionen:
- „Alle sind traumatisiert“ – aus IT-Sicht ist das ein „Wenn alle traumatisiert sind, ist niemand traumatisiert“. Das Kennzeichen „Trauma“ hat dann alle Wirkung verloren, es gibt keine Abstufungen mehr. Für eine Trauma-Diagnose müssen bestimmte Kriterien erfüllt sein. Alternativ sollten wir vielleicht manchmal vom Trauma-Begriff weggehen und es die Auswirkungen von „adverse events“ oder „subjektiv bedeutsame Stressoren“ nennen (mehr dazu unten) Oder auch einfach „etwas, was mir nachhängt“, „was einen schlechten Geschmack hinterlassen hat“, „was flashbackartig Bilder hochkommen lässt“.
- „Trauma ist immer langwierig und schwer zu behandeln“ –
Aus Sicht der meisten Therapierenden ist ein Trauma vom Typ I sehr gut behandelbar. Beim Typ II formt die Ansage „komplex-traumatisiert“ auch in Therapeut_innen-Kreisen eher einen Raum von „schwierig zu behandeln, kaum zu lösen, das dauert immer lange.“ Dabei schafft Bezeichnung Wirklichkeit, weil unser persönliches Erleben an den Netzwerken hängt, die wir mit einem Begriff verbinden.
Auch wenn ich im Folgenden weiter von „Trauma“ spreche, möchte ich hier auf das meiner Meinung nach sehr gute Buch „Stressor-basierte Psychotherapie“ von Thomas Hensel verweisen, der über den klassischen Trauma-Begriff in einer sehr hilfreichen Art hinaus geht. Er sieht eine Triade aus subjektiv bedeutsamem Stressor, der sichtbaren Symptomatik, und den Triggern. Therapien können an all diesen Punkten einsetzen.
Beispiel: Wenn eine blamable, scham-besetzte Situation in der dritten Klasse vorne an der Tafel dazu führt, dass eins auch an der Uni und später im Beruf solche Situationen absolut vermeidet und daher z.B. nie Präsentationen hält oder bei solchen starke Ängste empfindet, so wäre dies keine PTSD-Diagnose wert. Aber es war ein subjektiv bedeutsamer Stressor, dessen Symptomatik heute eine Vermeidungshaltung ist, die als verbundenen Trigger jede Art von Präsentation vor einer Gruppe hat.
Was aus meiner Sicht definitiv stimmt:
Viele Personen leiden unter belastenden, unverarbeiteten Erinnerungen, die sich auch in psychischen und körperlichen Krankheiten niederschlagen können (diese Ursache aber oft nicht erkannt wird).
I. Erste Maßnahmen bei traumatischen Events / panikähnlichen Zuständen
Gefühl von Sicherheit und Kontrolle herstellen
a) Als Selbsthilfe: Klopfen (egal wie – entweder Muster oder einfach so irgendeinen Punkt am Körper oder auch auf einer Sache wie Möbelstück, Lenkrad…), möglichst ruhig Atmen, weiterklopfen.
Ruhiges Atmen – insbesondere wenn das Ausatmen länger ist als das Einatmen, wirkt dies direkt auf den Vagusnerv und führt zur inneren Beruhigung im Körper.
Mit sich selbst beruhigend sprechen, Runterzählen, ein Liedchen singen, an was Lustiges denken (intensive Angst haben und gleichzeitig Lachen ist unvereinbar in unserem Gehirn).
Für ein Gefühl der Kontrolle und Übersicht sorgen.
b) Als helfende Person: z.B. Augenkontakt aufnehmen, insgesamt Kontakt aufnehmen, ggf. beruhigende Körperberührung (nicht an intimen Stellen), ruhig sprechen, die Lage schildern, sinnvoll informieren („Notarzt ist schon unterwegs… Sie schaffen das, es sieht gut aus“).
Aus der Situation herausholen, möglichst viel Normalität herstellen.
Den eigenen Namen aussprechen lassen, vorwärts und rückwärts buchstabieren lassen.
Menschen in einer Extremsituation sind, wie Gerald Hüther (deutscher Gehirnforscher) es so schön nennt, „funktionell enthirnt“. Die kognitiven Fähigkeiten und kritischen Filter sind sehr reduziert. Dies tritt z.B. auch im Krankenhaus auf. Früher wurde während OPs nicht darauf geachtet, über was gesprochen wurde – heute weiß eins, dass dort (meist aus Versehen) viel negatives „Priming“ in Form von Sätzen wie „das klappt eh nicht“ , „hat keinen Zweck“, „das sieht nicht gut aus“ stattfand – auch wenn eigentlich über Hausrenovierung und Golfspielen gesprochen wurde.
II. Ansätze, die auf die Themen Erregungszustand und Trigger/Flashbacks wirken
- Wenn der Flashback kommt, Tetris spielen (oder ein anderes fokussierendes Spiel, auch z.B. Worträtsel) – hierzu gibt es klinische Forschung. Definitiv eine direkt nach dem Event selbst einsetzbare Methode, die ihre Wirksamkeit aber auch bei PTSD bei komplexen Traumatisierungen bereits belegt hat!
- Bifokale, multisensorische Ansätze: dies würde ich unterteilen in von Therapeut_innen geführte Methoden wie EMDR und Brain Spotting, und in selbstwirksam durchführbare Methoden wie Klopfen nach EFT bzw. PEP nach Michael Bohne. Unser Gehirn ist nicht in der Lage, gleichzeitig eine intensive Emotion zu halten und einen sensorischen Input zu verarbeiten. Es erfolgt damit automatisch eine Reduktion der belastenden Gefühle.
III. Ansätze, die tiefergreifende Traumata behandeln
- Polyvagal-Theorie – mehr ein Ansatz also schon eine Methode an sich
- Somatic Experiencing nach Peter Levine – eine körper-psychotherapeutische Methode, die darauf abzielt, die natürliche Selbstregulation des Nervensystems wieder herzustellen.
- Ego-State-Therapie bei dissoziativen Störungen – dissoziative Störungen resultieren nach heutigen Erkenntnissen üblicherweise aus Entwicklungstraumata, in denen verschiedene im Trauma hilfreiche Persönlichkeitsanteile sich im Vergleich zu psychisch integrierteren Personen (bei denen ich lieber von Anteilen als von Teilen spreche) verselbständigt haben, eigene Namen/Geschlechter/Verhaltensweisen zeigen und auch ggf. nicht einmal alle voneinander wissen. Teilearbeit findet sich in vielen modernen therapeutischen Ansätzen wieder.
- Hypnosystemische Ansätze – lösungs- und ressourcenfokussiert und gleichzeitig Würdigung des erlebten Leids. Arbeit mit inneren Anteilen, unwillkürlichem Erleben, Hinterfragen der Idee, dass die Vergangenheit an sich Wirkung hat – nein, sondern unsere Beziehung zu der Vergangenheit. Wenn dem nicht so wäre, wäre jeglicher therapeutischer Ansatz nutzlos, denn die stattgefundene Vergangenheit kann ja nicht mehr geändert werden. Es gibt auch nicht die eine Vergangenheit, sondern es gibt Netzwerke, die ausgehend von der ursprünglichen Erinnerung sich mit jedem Aufruf dieser Erinnerung geändert wurde.
Als Toolbox finde ich PEP (Klopfen, Big 5 Lösungsblockaden und Kognitions-Kongruenz-Test) sehr gut zur Analyse und zur Lösung, wenn trotz allgemein guter Voraussetzungen und Arbeit die traumatische Erinnerung nicht losgelassen werden möchte. Besonders der Aspekt von „Problemerleben als letzter Zeuge für etwas“ halte ich inzwischen für einen sehr großen Aspekt von scheinbar nicht auflösbaren Problemen, ebenso eine hohe unbewusste Loyalität zu inneren leidenden Anteile oder wichtigen Personen im Außen.
Wichtig zu wissen – bei traumatischen Erfahrungen gilt „Reden reicht nicht“! Tatsächlich führt das reine Sprechen über belastende Erlebnisse eher zu Re-Traumatisierung. PEP-Klopfen und EMDR zielen direkt auf die Art, wie wir uns überschwemmende Emotionen in unserem Gehirn verarbeiten. Alle Traumabehandlungen haben einen hohen Fokus auf Aktivieren der Erinnerung in einem jetzt sicheren / anderen / hilfreicheren Kontext, in dem wir alle Ressourcen zugänglich haben, die wir damals benötigt hätten. Dabei findet keine „Löschung“ statt, sondern tatsächlich eine Um- und Neu-Schreibung der Erinnerung, was zu sehr schnellen Veränderungen führen kann.
Ich persönlich habe eigentlich gar keinen Schwerpunkt auf Traumabehandlung – aber „altem Mist“, der heute noch ins Leben ausstrahlt, begegne ich täglich, und es hat sich als extrem hilfreich herausgestellt, diesen alten Mist auch mal zu entsorgen. Es gibt hierfür heutzutage gute Methoden und tolle Therapeut_innen. Gönnt euch bei Bedarf Unterstützung, von wem auch immer – ihr dürft es euch wert sein.