Diese Seite dient der Zusammenfassung und dem Überblick über alle Misophonie-Themen und wird laufend durch gesonderte Artikel zu einzelnen Bereichen erweitert. Viele Informationen stammen aus meiner Fortbildung beim Misophonia Institute im Januar 2021, ergänzt um eigene Erfahrungen und Recherchen.

Mein älterer Artikel zu einer Misophonie-Behandlung findet sich hier.

Wenn du einen Einblick in meine konkreten Ansätze erhalten möchtest, höre bitte in meine Trance-Dateien zur Unterstützung bei Misophonie rein.

Misophonie (von griechisch μῖσος misos ‚Hass‘ und φωνή phonḗ ‚Geräusch‘), wörtlich „Hass auf Geräusche“, ist eine Form der verminderten Geräuschtoleranz gegenüber bestimmten Geräuschen

https://de.wikipedia.org/wiki/Misophonie

Misophonie ist eine konditionierte, extreme Reaktion zu kleinen Reizen.

Misophonia Institute

Inhaltsverzeichnis

Wie äußert sich Misophonie?

Es ist eine extrem schnelle und extreme intensive Reaktion auf kleine bis kleinste Reize. Typische Beschreibungen von Betroffenen

  • ich werde total wütend und aggressiv (auch im Gefühl, die andere Person macht dies absichtlich)
  • ich könnte der anderen Person in die Fr*** hauen
  • ich könnte die Wände hochgehen
  • ich empfinde Ekel
  • ich will wegrennen
  • ich schäme mich und mache mir selbst Vorwürfe, so überzureagieren (oft nachgelagert)

Abgrenzungen

  • Es geht um kleine Reize. Lärm an sich z.B. ist für alle Menschen ein Stressor, beispielsweise Flugzeuglärm, Laubbläser, Autobahnen, Güterzuge, Maschinenlärm. Laute Geräusche lösen bei uns evolutionsbedingt einen inneren Alarm aus, mit Ausstoß von Adrenalin und Cortisol. Wir können uns daran gewöhnen, unser Körper ist dennoch weiterhin gestresst.
  • Es gibt Geräusche, die die meisten Menschen als unangenehm empfinden, beispielsweise eine Mikrofonrückkopplung, Vogelkreischen, ein Messer auf dem Teller, das Quietschen einer Kreide auf einer Tafel. Dies löst aber keine extremen Emotionen aus.
  • Es gibt Menschen, die insgesamt sehr empfindlich auf Außenreize reagieren. Hier kann es eine Schnittmenge zu Misophonie geben.
  • Eine Verknüpfung von Geräusch zu Emotion aufgrund eines Traumas wird nicht zu Misophonie gezählt und sollte in einer Traumabehandlung gelöst werden. Am Anfang einer Misophonie stehen eher kleine, nichttraumatische, oft nicht bewusste Erlebnisse.

Welche Reize / Stimuli lösen häufig diese Reaktion aus?

Auditiv / Geräusche

  • Kauen, Schmatzen, Knirschen, Schlürfen, Zähne klackern, Räuspern…
  • Atemgeräusche, Husten, Schnäutzen, Schniefen…
  • Mechanische Geräusche wie Tastaturgeklapper, Stifte auf Papier, mit dem Stift klicken, Nägelschneiden…
  • Fußgeräusche wie schlurfen, tappen, quietschende Schuhe…
  • Handgeräusche wie Fingerschnippen, reiben, Gelenke knacken lassen

Visuell / Sichtbar

  • Mit offenem Mund kauen
  • Füße wippen
  • Kieferbewegung (z.B. beim Kaugummikauen)
  • Sich wiederholende oder einfache Handbewegungen wie Daumen drehen, ins Gesicht fassen
  • Haare über die Finger drehen

Kinesthätisch / Gefühlt und Gustatorisch / Geruch

  • An Tisch anstoßen
  • Gerüche, Parfüm
  • Berührung durch andere Person
  • Vibration von Bass, Musik

Während der Begriff Misophonie ursprünglich nur die Geäuschwahrnehmung beinhaltet, gibt es auch oft visuelle oder andere Auslösereize für die extreme Reaktion.

Der Auslösereiz wird im Folgenden als „Trigger“ bezeichnet.

Wer kann Misophonie bekommen?

In einer Umfrage mit 1061 Personen ergab sich beinah eine Normalverteilung zwischen dem Alter 5 und 18, mit einem Maximum bei 9-10. Es gibt aber auch Personen, deren Misophonie sich erst im (durchaus späten) Erwachsenenalter bemerkbar macht. Es berichten mehr Frauen als Männer von Misophonie, die Erscheinungsformen selbst unterscheiden sich aber nicht.

Wieviel Prozent der Bevölkerung hat Misophonie?

  • In der Bevölkerung zeigt sich als Mittelwert verschiedener Studien ein Wert von ca. 20%! Viele Personen haben eine geringe bis mittlere Misophonie, es gibt aber auch Personen, wo es lebenseinschränkend ist.
  • Personen mit vorhandenen psychiatrischen Diagnosen (OCD/Zwänge, Depression, Ängste…) haben zu 66% auch Misophonie, dies ist eine höhere Zahl als in der allgemeinen Bevölkerung. Es gibt allerdings keine direkte Korrelation zu den spezifischen Diagnosen. Da Stress und Anspannung die Misophonie verschärfen können, kann dies ggf. auch einfach anzeigen, dass die diagnostizierten Themen für große Stressoren im Leben stehen.

Wichtiger Hinweis zum Unterschied zwischen Ängsten/Zwängen und Misophonie in der Behandlung

Bei Ängsten und Zwängen hilft oft ein Aussitzen der Angst, da unser Körper nicht fähig ist, das Maximum von Angst lange aufrecht zu halten. Daher funktionieren Strategien wie Konfrontationstherapie („Exposure and Response Prevention“, ERP), bei der die Gefühle ohne die übliche damit verbundene Reaktion ertragen werden.

Bei Misophonie verstärken sich Wut und Ärger über die Zeit, in der die Person dem Trigger ausgesetzt ist, es tritt also keine Gewöhnung („Habituation“) auf. Daher sind Konfrontationstherapien nicht zielführend und sollten vermieden werden, da ein Verstärken und Generalisieren der Trigger auftreten kann.

Wie entwickelt sich Misophonie typischerweise?

  • Das erste störende Geräusch von jemand in der Familie / Freundeskreis wird wahrgenommen.
  • Weitere Geräusch-Trigger entwickeln sich oder der Trigger wird generalisiert (von z.B. den Kaugeräuschen einer Person auf die Kaugeräusche aller Personen).
  • Visuelle Trigger können sich entwickeln, z.B. in Verbindung mit den Geräuschen oder auf sich wiederholende Bewegungsmuster.

Seltenere Entwicklungen sind a) zuerst Entwicklung eines visuellen Triggers b) nur die Familie triggert c) gar keine visuellen Trigger d) andere Arten von Triggern (Gerüche, Geschmack, Berührung).

Wie genau sieht der Ablauf von Trigger bis Reaktion aus?

Trigger -> körperlicher Reflex -> extreme Emotion und Stressantwort (Muskelanspannung, Puls hoch, ) -> Reaktionen / Bewältigungsverhalten („Fight/Flight“ Kampf/Flucht u.a.)

Dieser vom Misophonia Institute vorgeschlagene Ablauf ist besonders wichtig für die Behandlung der Misophonie, da die körperliche Reaktion beispielsweise durch aktive körperliche Entspannung rund um den Trigger aufgelöst werden kann.

Neurologisch ist unser Reptiliengehirn der (erlernten) Ansicht, dass hier eine abzuwendende Gefahr vorliegt, und geht daher zum Gegenangriff über.

Die folgenden Strategien zum Handhaben und Behandeln der Misophonie gehen ein wenig ineinander über, sollen aber für eine bessere Übersicht hier getrennt aufgezählt werden.

Misophonie handhaben / managen

Es gibt eine Reihe von Strategien, um das Leben mit Misophonie zu erleichtern. Dabei ist sinnvoll, verschiedene Strategien je nach Lebensbereich zu verwenden.

Grundlegend ist es sehr wichtig, Trigger nicht versuchen auszusitzen, da dies erfahrungsgemäß nicht gelingt und das Problem verschärft!

Einen Trigger-freien Erholungsraum schaffen

  • Ruhiger Raum / Wohnung, ggf. zusätzlich „Noise Cancelling“ Kopfhörer

Eigenen Zustand positiv beeinflussen

Die Misophonie ist umso intensiver, wenn eins müde, gestresst, unter Druck, oder körperlich beeinträchtigt ist. Daher kann helfen:

  • für weniger Stress im Familien- und Arbeitskontext sorgen
  • mehr Entspannung im Leben (z.B. Mediation, Achtsamkeit),
  • mehr Freude und Spaß
  • für guten Schlaf sorgen
  • die eigene körperliche Verfassung verbessern, z.B. über Ernährung, Bewegung, entspannende Aktivitäten (z.B. Yoga, Schwimmen, Joggen…)
  • Ängste, Depression u.ä. behandeln/reduzieren
  • „Danke“ sagen mit einem Lächeln 🙂 dies ist unvereinbar mit der Stress-Reaktion, und signalisiert unserem Unterbewusstsein, dass alles in Ordnung ist.

Vermeidungsstrategien

  • komplette Vermeidung – oft nicht dauerhaft hilfreich
  • sich selbst die Erlaubnis geben, die Situation zu verlassen – Gefühl von Zwang des Aushaltens reduzieren
  • Essen abseits der Familie/Freunde (dafür aber andere gemeinsame Zeiten finden!)
  • Moderne „Noise Cancelling“ Kopfhörer – sehr gut geeignet für Umgebungen, in denen wir keinen oder wenig Einfluss haben, wie Bahnhöfe, Züge, Busse, Großraumbüros…
  • Ohrstöpsel – allerdings kann z.B. nächtlicher Dauergebrauch zu höherer Empfindlichkeit führen

Gegengeräusche

  • üblicherweise ist die Misophonie geringer, wenn gleichzeitig selbst etwas gegessen wird, z.B. Geräuschvolles wie Nüsse, Kräcker, Körnerbrötchen, Salat…
  • weißes Rauschen („white noise“) – hierfür gibt es z.B. Handy-Apps. Es kann auch ein Fön/Lüfter aufgestellt werden.

Extrem ruhige Räume führen dazu, dass wir jedes Geräusch überproportional wahrnehmen (z.B. tropfender Wasserhahn!). Daher kann das Hinzufügen von Geräuschen helfen, da wir dann nicht mehr nur den Fokus auf der einzelnen Störung haben.

System ändern / Kommunikation / Absprachen

  • ggf. im Umfeld schon bestehende Konflikte lösen, da diese Stress und Anspannung erzeugen
  • besonders starke Trigger besprechen und gemeinsam prüfen, ob eine gute Lösung gefunden werden kann (z.B. Plastiklöffel statt Metalllöffel in Joghurtglas; Salat ohne Salatgurke, nur mit Mais&Kichererbsen; Chips aus Glasschale statt direkt aus der Tüte essen…)

Hier ist wichtig, ohne Vorwürfe zu kommunizieren. Nicht „Ihr esst so laut und nervt mich damit!!“ sondern eher „Ich habe hier eine starke Reaktion auf X, und diese läuft automatisch ab, daher wäre es toll, wenn wir hierfür eine gemeinsame Lösung finden könnten“. Klarstellen, dass Misophonie nicht ausgesessen oder ignoriert werden kann. Ggf. eine offizielle Diagnose bei Ärzt_innen holen, wenn dies die Diskussion erleichtert.

Lernen, den Fokus aktiv zu verschieben bzw. eine Trance zu induzieren

Je mehr wir uns auf ein Geräusch (oder den visuellen Trigger, wie ein Mundbewegung) fokussieren, desto schlimmer wieder unsere Anspannung. Dies gilt auch für Personen, die eigentlich gar keine Misophonie haben, aber morgens um 5 Uhr im Zug dennoch gerne die Mitreisenden zwei Reihen weiter vorne erschlagen würden, die vor sich hin flüstern und daneben Brötchen aus raschelnden Tüten essen!

In solchen Momenten ist ein aktives Umfokussieren hilfreich, wie es beispielsweise Tranceinduktionen in der Selbsthypnose machen. „Der Zug rollt, er trägt mich dahin, alles ist ein Klangteppich, es ist egal, was andere tun, alles ist eins, alles rauscht, trägt mich dahin, sicher und gut…“ Dies ist ein wenig Übungssache, und es wird nur gelingen, wenn wir uns von der Idee lösen, dass die anderen uns absichtlich stören. Wir sind den Anderen in dem Moment einfach nicht bewusst und auch egal – genauso, wie uns andere Menschen meist egal sind.

Unvereinbare Sätze sagen (Reframing)

Hier einige Beispiele:

  • Statt „ich hasse es, hier zu sitzen!“ -> „ich freue mich, eine schöne Zeit mit meiner Familie zu verbringen“.
  • Statt „ihr macht das absichtlich“ -> „es ist nur ein Geräusch, es ist normal“
  • Statt „diese Person ist halt schlecht erzogen und hat es bei der Mutter nicht besser gelernt“ -> „ich freue mich, diese Person zu treffen, mit der ich so gerne interessante Gespräche nach dem Essen führe“

Wichtig: Die Alternativ-Sätze müssen sich authentisch und passend anfühlen! Es geht nicht darum, uns etwas vorzulügen. Die Sätze haben nur dann die erwünschte Wirkung, wenn wir uns wirklich freuen, hier gemeinsam zu sitzen, und wir wirklich überzeugt sind, dass die anderen uns nicht absichtlich schaden wollen.

Der Test hierfür ist, den Satz laut auszusprechen und dann sich selbst zu fragen – fühlt er sich 100% passend an? Wenn es sich noch nicht kongruent anfühlt, prüfen, welche anderen analogen Sätze für uns passen.

Eine erfolgreiche Hypnotherapie mittels Reframing an der Grenze zwischen Management und Behandlung beschreibe ich in meinem Original-Artikel „Misophonie und Hypnotherapie„.

Misophonie behandeln – selbst durchführbare Ansätze

Entspannungsstrategien

  • Progressive Muskelrelaxation (PMR) nach Jacobson

Bei der Misophonie tritt sehr häufig ein erster körperlicher Reflex auf, bei dem je nach Person unterschiedliche Muskelgruppen entspannen. Viele wissen auch ganz gut, welche Muskeln das bei ihnen sind. Der erste Reflex tritt oft auch schon auf, wenn ein baldiges Triggern vermutet wird (jemand nimmt eine Chips-Tüte in die Hand…).

Diese Muskeln jeweils aktiv zu entspannen unterbricht den Automatismus zur Emotion. PMR ist ein Trainingsprogramm, in dem zunächst Anspannen und Entspannen von einzelnen Muskelgruppen gelehrt wird. Durch diese Erfahrung ist es dann möglich, schnell Muskeln direkt zu entspannen und auch den ganzen Körper zu entspannen. Diese Entspannung aktiv vor und nach dem Trigger zu nutzen hilft vielen Menschen, die Misophonie merklich zu reduzieren.

Die Erfahrung, jederzeit aktiv die Muskeln entspannen zu können, hilft auch dabei, andere Trigger gar nicht erst zu entwickeln.

  • Zwerchfell-Atmen lernen („belly breathing“, „diaphragmatic breathing“)

Meist halten wir bei Anspannung unbewusst den Atem an. Dies kann mit Training geändert werden; beim Tauchen ist es beispielsweise sehr wichtig, ruhig weiterzuatmen. Zwerchfell-Atmung entspannt durch ihre Wirkung auf das parasympathische Nervensystem, welches der Flight&Fight-Antwort des sympathischen Nervensystems entgegensteht.

  • Andere Entspannungsmethoden, wie Meditation, Yoga, Achtsamkeitstraining, Body Scan

Gegenkonditionierung (Counter Conditioning)

Wenn wir die Misophonie als einen erlernten, konditionierten Reflex betrachten, so können wir eine Gegenkonditionierung durchführen. Dabei wird der Trigger mit einem positiv besetzten Stimulus gepaart – es handelt sich also nicht um ein Aussitzen, sondern wir verändern die Verdrahtung des Reflexes. Beispiel:

  • Lieblingssong hören, und in dieser guten Stimmung immer wieder leise das Trigger-Geräusch einspielen

Allerdings funktioniert die Gegenkonditionierung oft nur für den einzelnen, spezifischen Trigger, d.h. es überträgt sich nicht auf andere Trigger oder Situationen.

Das Misophonia Institut nenne diesen Ansatz „Neutral Repattening Method“ und hat hat eine „Trigger Tamer App“ entwickelt (kostenpflichtig – ich habe sie bisher nicht getestet).

Auslöschung der Konditionierung (Extinction)

  • Dem Trigger in einem Umfeld begegnen, in dem die Bewegungen nicht zur eigentlichen Reaktion passen, z.B. Kissenschlacht, Tanzen, Yoga und gleichzeitig Trigger (die übliche Muskelanspannung kann nicht gleichzeitig durchgeführt werden).

Operante Interventionen (Belohnungen nutzen)

  • (eigene) Belohnung, wenn bestimmte Verhalten nicht gezeigt werden – z.B. die Angst davor, Vermeidung – fördert das alternative Verhalten
  • Trigger-Situation mit Belohnung verknüpfen – dies ist wie eine Verstärkung des oben beschriebene Management, z.B. das gemeinsame Familienessen als Belohnung für den Tag bewerten

Wichtig: Nicht das Aussitzen oder klaglos Ertragen belohnen! Sonst bleibt das Leiden selbst vorhanden, aber wird unterdrückt und kann sich mittelfristig verschlimmern! Die emotionale Reaktion bei Misophonie kann nicht in der Situation einfach ausgesessen werden.

Misophonie behandeln – therapeutische Sitzungen

Die unten beschriebenen psychotherapeutischen Ansätze können auch für die eigene Arbeit an den dahinterliegenden Gedanken und emotionalen Lernerfahrungen dienen. Es ist allerdings oft leichter, wenn jemand anders uns die richtigen Fragen stellt – schließlich geht es hier oft um inneres Wissen, dessen Klarwerdung manchmal schmerzhaft sein kann, weshalb wir es gerne vermeiden.

Die Ansätze sind besonders dann sinnvoll, wenn die oben beschriebenen Ansätze rund um Entspannung und Druck-raus nur schlecht oder kurzfristig helfen.

Zugrundeliegende Annahmen

Die Annahmen der Hypnosystemik und der Kohärenztherapie (Coherence Therapy) sind sehr ähnlich und sagen grundlegend aus, dass das Symptom/Problem ein Hinweis auf ein zugrundeliegendes Bedürfnis ist bzw. auf ein wichtiges, kohärentes Muster, das einen Zweck erfüllt. Es geht also nie um „Symptom wegmachen“, sondern um Herausfinden der Bedürfnisse und den zugrundeliegenden Notwendigkeiten, um die Integration derselben ins Bewusstsein und um das Lösen des Grundproblems auf andere Weisen.

Hypnosystemik / Hypnotherapie

  • Ein Symptom/Problem ist ein wertzuschätzender Hinweis auf ein (noch) nicht erfülltes Bedürfnis.
  • Die Frage ist nicht „woher“, sondern „wofür“. Wofür kommt jetzt dieses Symptom/Problem, wofür kommt das Gefühl? Was ist das Ziel? Welches Grundbedürfnis steht dahinter?
  • Ein Symptom/Problem ist selbst ein Lösungsversuch mit Preis.
  • Das Ziel der Therapie ist, das unerfüllte Bedürfnis zu finden und es auf eine andere, hilfreichere Art zu erfüllen.

Im Fall der Misophonie würde ich also beispielsweise deinen Blick in die Vergangenheit lenken, nicht um das woher zu erkunden, sondern damit du wahrnehmen kannst, in welchem Kontext das Gefühl erstmalig aufgetreten ist. Wofür kam es? Hat sich vielleicht ein Teil von dir unter Druck gefühlt, deine Bedürfnisse wurden nicht wahrgenommen und du oder jemand anders wurde abgewertet, und du hast mit Wut reagiert, um den Selbstwert zu schützen? Wofür kommt das Gefühl von Wut? Was ist sein Zweck für dein System?

Ausgehend von diesem Wofür und dem unerfüllten Bedürfnis unterstütze ich dich dabei, hilfreichere Lösungen zu finden.

Wichtig: Die üblicherweise sehr gut funktionierende Problem-Lösungs-Gymnastik nach Gunther Schmidt darf nicht direkt für den Moment der Misophonie genutzt werden. In diesem Fall das Erleben KURZ vor der Situation verwenden (es gibt immer schon eine Vorspannung und Erwartungshaltung).

Kohärenztherapie und Gedächtnisrekonsolidierung

  • Viele Symptome/Probleme werden durch emotional Gelerntes hervorgerufen und diese existieren alleine deshalb, weil sie adaptiv und zwingend notwendig sind. Das Erzeugen des Symptoms ist damit Teil eines größeren, kohärenten Plans (zumeist unbewusst).
  • Das Symptom/Problem ist die beste Lösung, um zu vermeiden, ein viel schlimmeres Problem zu haben, das nicht ertragbar wäre.
  • Für die ausführliche Beschreibung des Ansatzes siehe Methodik bei Robin Ticic.

Das Vorgehen bei der Kohärenztherapie ist, das Pro-Symptom-Geschehen ins Bewusstsein zu holen. Dies kann beispielsweise darüber geschehen, dass eins sich aktiv eine symptomauslösende Szene OHNE das Symptom vorstellt. Bei Misophonie könnte der Gedankengang sein:

„Ich gerate sofort in Wut.“ -> „Wenn ich gelassen bleibe, dann tue ich damit kund, dass ich es mir nicht wert bin, mich zu verteidigen.“

Eine Selbstwert-Thematik könnte auch vermutet werden, wenn gleichzeitig abwertende Gedanken auftreten. „Diese Person hat keine Kinderstube, ist schlecht erzogen, hat keine Tischmanieren…“ Jemand anderen entwerten wertet uns selbst auf, stützt damit das Selbstwertgefühl und kann Neid- oder Verlustgefühle abwehren.

Als erste Integrationsarbeit würde vielleicht der folgende, aktuell als wahr empfundene Satz aufgeschrieben werden, den die Klient_in mit nach Hause nimmt und im Moment des Pro-Symptom-Erlebens lesen kann:

„Ich muss sofort in Wut geraten in diesem Moment, denn wenn ich nicht reagiere, dann bin ich nichts wert. Und dies wäre schlimmer als das Leiden an der Wut.“

Die Befreiung aus diesem Konstrukt wird über das gleichzeitige Einnehmen einer erlebten, ebenfalls für wahr empfundenen, aber entgegengesetzten Position möglich. Dies wird als Gedächtnisrekonsolidierung bezeichnet. Im Beispiel könnte dies sein:

„Gestern blieb ich total gelassen, und habe festgestellt, dass ich ganz in mir ruhte und das Geräusch des anderen mir ganz egal war. Es hatte nichts mit mir zu tun.“

Im Gespräch oder in einer hypnotherapeutischen Sitzung können dann die beiden Positionen direkt gegenüber gestellt und im Wechsel betrachtet werden. Dabei haben die Klient_innen selbst den Raum, beide Positionen wahrzunehmen und wirken zu lassen. Wird die zweite Position als hilfreicher und zielführender bewertet, wird das alte Erleben überschrieben.

Prozess- und Embodimentfokussierte Psychotherapie (PEP)

Auch in den sehr schnell wirksamen Ansätzen von PEP geht es immer wieder darum, Glaubenssätze aufzufinden und in neue, hilfreichere Sätze zu „reframen“. Damit kommen ebenfalls hier die Mechanismen der Gedächtnisrekonsolidierung zum Tragen. Auch bei PEP gilt: die Sätze müssen sich zu 100% kongruent und wahr anfühlen. Affirmationen funktionieren super – wenn sie zu uns passen. Sie sind immer persönlich.

Fazit

Ich habe in dieser Seite – die nun doch viel länger wurde als gedacht – viele Ergebnisse der aktuellen Misophonie-Forschung zusammengestellt. Sie wird regelmäßig erweitert und aktualisiert. Falls du selbst oder mittelbar betroffen bist, hoffe ich, dass ich dir hilfreiche Anregungen liefern konnte.

Linktipps und Bücher

„Der Schlüssel zum emotionalen Gehirn – Mit Gedächtnisrekonsolidierung die Ursachen von Symptomen beseitigen“ (Bruce Ecker, Robin Titic, Laurel Hulley, Junfermann Verlag)

The Misophonia Institute

Wenn du einen Einblick in meine konkreten Ansätze erhalten möchtest, höre bitte in meine Trance-Dateien zur Unterstützung bei Misophonie rein.